Innovation im Bau: Ein Stück Zukunft in der Gegenwart


21.09.17 - Die Baubranche trägt und initiiert Innovationen, die den Alltag der Schweiz verändern.



Dahinter stehen kleine wie grosse Unternehmen: Von der Photovoltaik in Geländern oder an Fassaden, der hydrophilen Verputz-Innovation am Palace-Hotel auf dem Bürgenstock über die unsichtbare und schusssichere Brandschutztüre, den freistehenden Gerüstbau am Freiluft-Musikfestival bei der Burgruine bis zum GPS im Vermessungsgerät und zur digitalen Schweissmaschine für das Brückenprojekt in Graubünden. 

Am Mediengespräch vom 5. September stellten sechs von 25 000 Nachwuchskräften im Bau vor, wie die Innovation heute bereits Teil ihrer Ausbildung und ihres Alltags ist. 

Solartechnologie im Geländer oder Beschattungssystem
Der Klimawandel macht vor der Schweiz nicht halt. Das haben die Murgänge im inzwischen abgeschnittenen Bergell gezeigt. Mehr erneuerbare Energie oder mehr Recycling sind dringend gefragt. Im Bau sind bereits zahlreiche Lösungen im Einsatz, oft auch von kleineren Unternehmen entwickelt. Der 20-jährige Ron Mathis lernt bei solch einem Unternehmen einen der fünf Berufe im Berufsfeld Gebäudehülle. Als Abdichter sorgt er für trockene oder begrünte Flachdächer, Terrassen und Vordächer. Und er lernt den Einbau von Solartechnologie. Ron Mathis erklärte am heutigen Mediengespräch: «Aus technischer Sicht können wir in der Schweiz punkto Solartechnologie weltweit mithalten. Doch die Umsetzung ist sehr zaghaft. Mit der Energiewende hofft mein Chef auf neue Systeme der Finanzierung.» Sein Arbeitgeber Schürch-Egli in Sempach lässt sich von Hindernissen nicht vom Erfolg abbringen. So hat das 35-köpfige Unternehmen gerade ein neues Montagesystem für Solarmodule auf Flachdächern patentieren lassen. Weil es sehr einfach konzipiert ist, geht die Montage viel rascher. Photovoltaikanlagen auf Flachdächern und Steildächern sind für das Sempacher Unternehmen Alltag. Photovoltaikanlagen werden dank der viel dünneren Komponenten auch an einer runden Fassade oder an Balkongeländern eingebaut. Ron Mathis: «Bei einem auf Süden ausgerichteten Balkon produzieren die Solarzellen bis zu 70 Prozent des Stroms – und das Geländer verursacht kaum Mehrkosten. Fassaden und Geländer mit Photovoltaikanlagen produzieren im Gegensatz zu Dächern selbst im Winter bei tiefem Sonnenstand viel Strom. Und selbst transparente Schattensysteme könnten Strom produzieren.» Das Marktpotenzial ist da. Denn immer noch besteht bei über einer Million Gebäude Sanierungsbedarf.

Sicherheit vor Feuer und Schüssen
In der Schweiz sind viele vor 30 Jahren gebaute Brandschutz-Lösungen bereits veraltet. Wie wichtig es ist, den Übergriff eines Brandes auf das ganze Gebäude zu verhindern, hat der Brand in London gezeigt. Die 19-jährige Metallbaukonstrukteurin Céline Werren ist in einem Unternehmen tätig, das sich dem Thema Sicherheit verschrieben hat. Die SWM Metallbautechnik hat ihren 50 Mitarbeitenden neuartige transparente Brandschutztüren entwickelt, die wie normale Schiebetüren oder Glastüren aussehen. Sie sind zum Beispiel bei der SBB, Post, Kantonalbank Bern oder bei Aldi im Einsatz. Auch für den Schutz vor unberechtigtem Zugang zu Gebäuden hat ihr Arbeitgeber Lösungen parat. Sie sind im Sozialbereich, bei Banken und in der öffentlichen Verwaltung gefragt. Nach Terroranschlägen gehen bei SWM Metallbautechnik jeweils entsprechende Anfragen ein. Das Unternehmen liefert nicht nur transparente Brandschutztüren, sondern auch schusssichere Elemente. Beim Schutz vor unberechtigtem Zutritt kommen Iris-Scanner, Gesichtserkennung oder Motorriegelschlösser ins Spiel. Céline Werren plant und konstruiert auch bei Projekten im Bereich Sicherheit mit. «Besonders cool finde ich es, in der Werkstatt nachzuschauen, wie weit sie mit meinem Projekt schon sind.» 

Zusammenschweissen – das Grossprojekt in Reichenau
Bei Gerüsten, Betonstahl und Brandschutztüren kommt Stahl zum Einsatz. Da läuft nichts ohne das Schweissen. Auch das ist heute digital – so entsteht eine riesige Brücke der Rhätischen Bahn mithilfe einer digital gesteuerten Schweissmaschine in einer Werkstatt in Jona. «Der Neubau der zweiten Hinterrheinbrücke Reichenau in Graubünden ist ein Projekt in einer Dimension, das in allen Belangen höchste Anforderungen stellt», meint der Metallbauer Markus Leuzinger, der gerade eine Weiterbildung zum Schweissfachmann abgeschlossen hat. Das Projekt der Rhätischen Bahn läuft bis 2019. Der Bahnbetrieb wird während allen Bauphasen aufrechterhalten. Die neue, 200 Meter lange Stahlbrücke mit V-Stützen und einem Trogquerschnitt bildet das Kernstück des Projekts. Sie trägt den Namen «Sora Giuvna» und wird den Hinterrhein sowie die Nationalstrasse A13 überspannen. Seit wenigen Wochen werden in der Werkstatt von Schneider Stahlbau in Jona Bauteile gebaut und geschweisst. Die Baugruppen sind bis 16 Meter lang, 3 Meter hoch, 6 Meter breit und haben Stückgewichte bis 60 Tonnen. Die fertigen Bauteile werden später auf die Baustelle transportiert. Dort wird zu diesem Zeitpunkt eine Feldwerkstatt aufgebaut sein. Das heisst, dass dort die Bauteile weiter zusammengeschweisst und schliesslich mit dem Kran montiert werden. 

Baustellen-Feeling für Journalisten, Jugendliche und Eltern
Damit die anwesenden Journalisten am Mediengespräch authentisches Baustellen-Feeling erlebten, konnten sie mit der virtuellen Realität fünf Baustellen besuchen und den Lernenden dabei buchstäblich über die Schulter gucken – Schwindelgefühle inklusive. Im Auftrag der Gebäudehülle Schweiz wurde ein 360-Grad-Projekt realisiert, bei dem zum ersten Mal in der Schweiz Lerndende in der virtuellen Realität ihren Beruf erklären. Die Videos kommen vor allem bei Berufsmessen und in Schulen zum Einsatz. Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen «gehen» mit dem Gerüstbauer, dem Dachdecker, Fassadenbauer, Abdichter und Storenmonteur mit und erleben zum Beispiel, wie sie in «Egoshooter-Perspektive» auf einem Dach laufen oder ein Gerüst bauen.

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